Vererbung und Züchtungsmethodik
Ziel ist die Festigung positiver Eigenschaften
Vererbung ist definiert als die Weitergabe von Erbanlagen auf ihre Nachkommen und damit Grundlage jeder Tierzucht. Die wichtigsten Gesetzmäßigkeiten der Vererbungslehre sollten daher auch für jeden Rassegeflügelzüchter von größtem Interesse sein, denn nur so kann er gezielt seine Zuchttiere auswählen, seine Stämme bzw. Zuchtpaare zusammenstellen und sich einen Bestand aufbauen, der nicht nur für ein oder zwei Generationen, sondern auch langfristig typische, vitale und für die Weiterzucht wertvolle Tiere hervorbringt.
Wie funktioniert Vererbung?
Wie allgemein bekannt, ist die DNS oder DNA (Desoxiribonucleinsäure) Träger der Erbinformationen eines jeden Organismus. Sie ist unterteilt in einzelne Abschnitte, in denen die Informationen zur Ausbildung der jeweiligen Merkmale enthalten sind. Diese Abschnitte bezeichnet man als Erbanlagen oder Gene. Bei allen höher entwickelten Lebewesen hat jedes Individuum zwei Ausführungen eines jeden Gens, eines vom Vater und eines von der Mutter. Teilen sich Körperzellen (notwendig zum Aufbau neuen Gewebes), so verdoppeln sich die DNS-Stränge und werden, "verpackt" in transportable Einheiten, die als Chromosomen bezeichnet werden, auf die beiden entstehenden Tochterzellen verteilt, so dass beide Zellen die gleiche Erbinformation erhalten.
Bei der Bildung der Keimzellen, d.h. der Spermien und Eizellen, liegt der Fall etwas anders. Hier muss gewährleistet sein, dass in Ihnen nur jeweils eine Ausführung eines jeden Gens vorhanden ist, da die andere bei der Verschmelzung der Keimzellen durch den Fortpflanzungspartner hinzukommt. Um dies zu erreichen, wird der doppelte Chromosomensatz des Individuums (basierend auf den zwei DNS-Strängen) zu einem einfachen Satz reduziert, indem während der Zellteilung jeweils nur eines der beiden Schwesterchromosomen in die Keimzelle weitergegeben wird. Ob es sich dabei um das ursprünglich vom Vater oder von der Mutter stammende Chromosom handelt, ist rein vom Zufall abhängig. Auf diese Weise wird gesichert, das rein statistisch Erbanlagen von beiden Elternteilen in die Keimzellen gelangen.
Bei der Verschmelzung von Spermium und Eizelle wird der Chromosomensatz wieder verdoppelt, da jeweils ein Satz vom Vater (Spermium) und einer von der Mutter (Eizelle) beigesteuert wird. Somit erhält ein Individuum jeweils eine Ausprägung jeder Erbanlage vom Vater und eine von der Mutter.
Diese Zusammenhänge sind seit langem bekannt. Umso erstaunlicher ist, was gelegentlich in Fachbeiträgen zu lesen ist. Ich möchte hier stellvertretend zwei Beiträge zitieren, die im Laufe der letzten 10 Jahre erschienen sind. Wörtlich heißt es da: "Dass der Hahn bei der Vererbung von Farbe und Zeichnung auch ein deutliches Übergewicht gegenüber der Henne hat, ist weithin bekannt", und "...vererbt die Henne in erster Linie Form und Größe, der Hahn hingegen Farbe, Zeichnung und andere Rassemerkmale." In diesen Zusammenhang passt die nicht selten geäußerte Auffassung, nach welcher beim Huhn die Nachkommen 70 % ihrer Erbanlagen von der Henne erhalten, während der Hahn nur 30 % beisteuern soll. Ursache solcher Fehlschlüsse sind sicher Einzelbeobachtungen, bei denen festgestellt wurde, dass sich ein Elternteil in bezug auf bestimmte Merkmale stärker in der Nachzucht widerspiegelte als der andere. Derartiges kann die Folge dominant-rezessiver Vererbung (ein Elternteil tragt zufällig die dominante Ausprägungsform des Gens) oder auch nur individueller Wahrnehmung sein. So werden die Unterschiede in der Nachzucht aus einem Stamm Hühner (bestehend aus einem Hahn und mehreren Hennen) in erster Linie vom Erbgut der verschiedenen Hennen bestimmt, da der Vater ja in allen Fällen der gleiche ist. So entsteht optisch der Eindruck, die Henne leiste einen größeren Anteil am Erbgut der einzelnen Nachkommen.
Erbanlagen oder auch Genorte kommen in verschiedenen Ausprägungsformen vor, die als Allele bezeichnet werden. Beispiele für Genorte bei Hühnern sind, vereinfacht dargestellt, Gefiederfarbe, Lauffarbe oder Kamm, Beispiele für Ausprägungsformen oder Allele wären dann Schwarz, Weiß oder Gesperbert, Blau oder Gelb sowie Einfach-, Rosen- oder Erbsenkamm.
Dominant-rezessive Erbgänge
Wie bereits dargestellt, hat jedes Tier für jeden Genort zwei Allele. Dabei kann es sich, wie in Reinzuchtpopulationen häufig der Fall, in beiden Fällen um das gleiche Allel handeln. Das Tier ist damit reinerbig oder homozygot für diesen Genort. Trägt das Tier an einem Genort unterschiedliche Allele, ist es mischerbig oder heterozygot. Welches dieser beiden Allele optisch am Tier sichtbar wird, hängt von den Dominanzverhältnissen ab. Allele können gegenüber anderen dominant, rezessiv oder intermediär vererbt werden.
Ist ein Allel über ein anderes dominant, so heißt dies, dass es das andere überdeckt. Das überdeckte Allel wird dann als rezessiv bezeichnet. Beispielsweise ist beim Huhn die schwarze Gefiederfärbung dominant über Wildfarbig (Rebhuhnfarbig) oder Rezessiv Weiß. Im Gegensatz dazu dominiert das auch als Leghornweiß bezeichnete Dominant Weiß über Wildfarbig und Schwarz. Bei Tauben dominiert Dominant Rot über Blau und Schwarz, während Schwarz über Rezessiv Rot dominant ist. Diese Liste ließe sich noch beliebig fortsetzten.
Als intermediär bezeichnet man einen Erbgang, bei dem keines der beiden Allele das andere vollständig überdeckt, sie also "gleichstark" sind. In diesem Fall entsteht eine Misch- oder Zwischenform, die Merkmale beider Komponenten aufweist. Bekanntestes Beispiel ist die blaue Gefiederfärbung des Huhnes, wie sie z.B. bei den Andalusiern vorkommt. Sie basiert auf einem auch als "Andalusierweiß" bezeichneten Weiß, das sich gegenüber Schwarz nur zum Teil durchsetzt. Die Folge davon ist eine abwechselnde Einlagerung von schwarzen Pigmentkörnern und farblosen Arealen in den Federn, die von uns als Blau wahrgenommen wird. Solche blauen Tiere sind immer spalterbig (heterozygot), d.h. sie bringen untereinander verpaart immer wieder neben spalterbig blauer auch schwarze und andalusierweiße Nachzucht hervor. Diese Farbe reinerbig zu züchten ist nicht möglich. Ein weiteres Beispiel für intermediäre Vererbung ist der Becherkamm der Augsburger. Er entsteht aus der Kombination von Einfachkamm und Hörnerkamm und spaltet ebenso wie das Andalusierblau in jeder neuen Generation wieder auf.
Geschlechtsgebundene Vererbung
Wie schon Eingangs geschildert, werden die Erbanlagen während der Zellteilung gebündelt in Form transportabler Einheiten, den Chromosomen, auf die Tochter- bzw. Keimzellen weitergegeben. Jedes Individuum hat einen doppelten Chromosomensatz, jeweils einen vom Vater und von der Mutter. Die Konsequenz wäre also, dass prinzipiell jedes Chromosom zweimal vorhanden ist. Doch gibt es eine Ausnahme: Die Geschlechtschromosomen. Bei den Chromosomen dieses Paares gibt es zwei Ausführungen, das große X-Chromosom und das kleinere, nur wenige Erbanlagen enthaltende Y-Chromosom. Die Zusammensetzung dieses Paares bei jedem einzelnen Individuum entscheidet über die Ausprägung des Geschlechtes. So trägt bei den Vögeln (im Gegensatz zu den Säugetieren) das männliche Tier in zweifacher Ausfertigung das X-Chromosom. während das weibliche durch die Kombination XY gekennzeichnet ist. Bei der Keimzellenbildung kann das männliche Tier dementsprechend nur X-Chromosomen liefern, während das weibliche entweder ein X- oder ein Y-Chromosom beisteuern kann. Auf diese Weise wird bestimmt, ob der jeweilige Nachkomme männlich oder weiblich ist. Liegt nun eine Erbanlage auf dem X-Chromosom, wird sie vom Vater sowohl auf die Söhne als auch auf die Töchter weitergegeben, während die Mutter dieses Gen nur an ihre Söhne vererben kann.
Beispiele für geschlechtsgebundene Anlagen beim Huhn sind der Sperberfaktor und der Silberfaktor. Der Sperberfaktor ist dominant über schwarz. Bei Verpaarung eines gesperberten Hahnes mit einer schwarzen Henne wird die gesamte Nachzucht gesperbert, während im umgekehrten Fall, also bei schwarzem Hahn und gesperberter Henne, gesperberte Hähne und schwarze Hennen fallen. In beiden Fällen sind die gesperberten Hähne Spalterbig, da sie das Allel für den Sperberfaktor nur einmal tragen.
Gleiches gilt für den Silberfaktor: Er ist dominant über Gold. Silberfarbiger Hahn verpaart mit goldfarbiger Henne ergibt ausschließlich silberfarbige Nachkommen, während im umgekehrten Fall silberfarbige Hähne und goldfarbige Hennen entstehen.
Polygene Vererbung
Wird die Ausbildung eines Merkmals durch mehrere Erbanlagen oder Genorte bestimmt, so spricht man von polygener Vererbung. Hier können bei der Kombination von Allelen dieser unterschiedlichen Genorte ganz neue Merkmale entstehen oder Merkmale in ihrer Ausprägung verstärkt werden (summierende Genwirkung). Ein Beispiel hierfür ist die Vererbung der Kammformen beim Haushuhn. Die Ausbildung von Erbsen-, Rosen- und Einfachkamm beruht auf den Allelen zweier Genorte. Der eine Genort codiert bei dominanter Ausprägung den Erbsenkamm, der andere den Rosenkamm. Kombiniert man beide Kammformen, so entsteht als neue Kammform der Wulstkamm. Bei reinerbiger Kombination der beiden rezessiven Allele wird der Einfachkamm ausgebildet. Dementsprechend sind sowohl der Erbsenkamm als auch der Rosenkamm über den Einfachkamm dominant.
In vielen Fällen sind es noch weitaus mehr als zwei Genorte, welche die Ausbildung eines Merkmals bedingen. Dies gilt besonders für Merkmalskomplexe wie Gewicht, Form, Legeleistung und Eigewicht.
Modifikatoren
Erfolgt die Festlegung für die Ausbildung eines ganz bestimmten Merkmals über Genorte, die man auch als "Hauptgene" bezeichnen kann, wird die "Feinausprägung" solcher Merkmale von sogenannten Modifikatoren oder Modifikatorgenen determiniert. So sind nicht alle Einfachkämme völlig gleich strukturiert und nicht alle gesäumten Tiere weisen exakt die gleiche Stärke und Schärfe der Zeichnung auf. Modifikatorgene legen z.B. fest, wie Intensiv ein Zeichnungsbild ausgeprägt, wie fein ein Rosenkamm geperlt oder wie groß eine weiße Ohrscheibe ist.
Züchtungsmethodik
Wurde im ersten Teil auf die grundlegenden Mechanismen bei der Weitergabe von Erbanlagen eingegangen, soll nun aufgezeigt werden, welche Möglichkeiten der Rassegeflügelzüchter hat, diese anzuwenden.
Gehen wir vom "Normalfall" aus. Ein Züchter hält eine standardisierte, relativ gut durchgezüchtete Rasse. In Bezug auf die grundlegenden Rassemerkmale herrscht in seinem Zuchtstamm weitgehend Reinerbigkeit. Eine Anwendung der Gesetze zur Vererbung von Farbanlagen oder Kammformen - für die Erzüchtung neuer Rassen oder Farbenschläge unumgänglich - ist hier nicht möglich. Vielmehr geht es um graduelle Verbesserungen in der Ausprägung bereits reinerbig vorhandener Merkmale. Und hier spielen weniger einzelne Hauptgene, als vielmehr Modifikatoren (z.B. Ausprägung von Kopfpunkten und Zeichnung) und polygen vererbte Merkmalskomplexe (z.B. Form, Größe, Körperhaltung u.a.) die entscheidende Rolle. Es steht damit also nicht mehr das einzelne Gen, sondern vielmehr das gesamte Tier oder besser noch der Zuchtstamm als solcher im Zentrum der Betrachtung.
Ziel des Rassegeflügelzüchters ist, möglichst viele der gewünschten Erbanlagen in seinen Stämmen oder Zuchtpaaren zu vereinen und es gilt nun zu hinterfragen, mit welchen Mitteln dieses Ziel am besten zu erreichen ist. Eine gängige Zuchtmethode in der Rassegeflügelzucht seit langem ist der Aufbau von Inzuchtlinien. Grundidee dieser Strategie ist, über eine Steigerung der Reinerbigkeit möglichst viele einheitliche, dem Standard entsprechende Nachzuchttiere hervorzubringen. Diese Überlegung ist grundsätzlich nicht falsch, doch muss bedacht werden, das die durch Inzucht gesteigerte Reinerbigkeit natürlich nicht nur die gewünschten Erbanlagen betrifft, sondern auch unerwünschte, im Extremfall letal (tödlich) wirkende Gene, die nicht selten rezessiv und damit im heterozygoten (spalterbigen) Zustand am Tier nicht sichtbar sind. Bedauerlicherweise wird oft auch heute noch der Aufbau von Inzuchtlinien als "die Methode der Wahl" dargestellt und der durch Inzucht auftretende Schaden nur unzureichend abgehandelt bzw. in seiner Tragweite relativiert. So wird gelegentlich behauptet, man könne Inzuchtdepressionen vermeiden, indem man bei der Auswahl der Zuchttiere nicht nur auf das äußere Erscheinungsbild, sondern auch auf Lebenskraft und Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten achtet. Derartige Aussagen sind erstens stark vereinfacht und zweitens nur die halbe Wahrheit. Denn betreibt man Inzucht, so verstärkt man automatisch, also unabhängig vom Zuchtziel, die Reinerbigkeit negativer Allele, und es gibt kaum einen Bestand, der davon frei wäre. Dementsprechend muss man zwangsläufig mit einer größeren Ausfallquote sowohl bei Befruchtungs- und Schlupfraten wie auch der Aufzucht der Küken rechnen. Eindrucksvoll bestätigt wird das durch die Untersuchungen Boesingers (1974, zit bei Schmidt 1990) an Japanischen Wachteln. So steigerte sich die Sterblichkeitsrate nach drei Generationen Inzucht um das dreifache, während die Kükengewichte (gemessen nach 5, 9, und 15 Tagen) auf im Schnitt 75 % des Ursprungswertes absanken. Die Schlussfolgerung ist klar: Wer intensiv Inzucht betreibt, muss von vornherein eine zahlenmäßig größere Nachzucht einkalkulieren.
Doch zeigt die Untersuchung Boesingers noch etwas anderes. Die Toleranz gegenüber einer Erhöhung der Bruttemperatur um 2 °C war bei ingezüchteten Embryonen deutlich geringer als bei jenen aus unverwandten Verpaarungen. So sank die Schlupfrate von zuvor 59,66 % nach zwei Generationen Inzucht auf 12,69 %, was die deutlich geringere Anpassungsfähigkeit ingezüchteter Embryonen belegt. Diese verminderte Anpassungsfähigkeit betrifft alle Lebensfunktionen, was einer Selektion auf Widerstandskraft gegen Krankheiten innerhalb von Inzuchtlinien recht enge Grenzen auferlegt.
Untersuchungen an Mäusen zeigten zudem, dass von 20 angesetzten Inzuchtlinien nach 10 Generationen Vollgeschwisterpaarung nur noch sechs vorhanden waren. Die übrigen gingen an mangelnder Fruchtbarkeit und hoher Jungtiersterblichkeit zugrunde. Nach weiteren 10 Generationen verblieben nur noch drei Linien, die sich dann als "inzuchtresistent" erwiesen, d.h. in ihnen waren entweder von Beginn an keine Negativgene vorhanden oder dieselben verschwanden im Laufe der Generationen durch genetische Drift nach dem Zufallsprinzip aus der Population. Für den Geflügelzüchter bedeutet das, dass er nicht nur eine größere Anzahl Nachkommen benötigt, um erfolgreich Inzucht zu betreiben, sondern zudem noch mehrere Linien parallel halten muss. Für die meisten Züchter schlicht nicht umsetzbar.
Auch bleibt die Frage zu klären, ob Inzucht wirklich der beste Weg ist, das gewünschte Zuchtziel zu erreichen. Hierzu eine theoretische Überlegung: Jedes Tier, so vollkommen es auch wirken mag, trägt immer nur einen (wenn auch vielleicht großen) Teil der genetischen Ausstattung, die zur Erreichung des angestrebten Zuchtzieles notwendig ist. Betreibt man nun Inzucht auf ein solches Tier, bewegt man sich immer nur innerhalb des von diesem Tier vorgegebenen genetischen Rahmens und wird daher auch nur einen Teil der gewünschten genetischen Ausstattung festigen können. Der übrige Teil ist nicht in der Population enthalten und kann auch durch Selektion nicht mehr hinzugefügt werden. Der Züchter beschränkt also seine Möglichkeiten bis hin zur völligen züchterischen Unbeweglichkeit, die dann erreicht wird, wenn nahezu jegliche genetische Variation verlorengegangen und Selektion nur noch marginal möglich ist.
Daher erscheint es zum Aufbau einer Zucht sinnvoller, sie am Anfang möglichst breit, d.h. mit mehreren unverwandten Tieren, anzusetzen, um so von Beginn an eine große Varianz, also einen vergleichsweise "vollständigen" Genpool zu gewährleisten. Im weiteren Verlauf der Zucht kann dann versucht werden, durch Kombination von geeigneten Tieren die gewünschten Merkmale zu "bündeln". Auch dabei sollte auf die Erhaltung einer möglichst großen genetischen Variation geachtet werden, denn nur dort, wo Vielfalt vorhanden ist, kann auch selektiert werden. Ich selbst wende ein Prinzip an, bei dem ich seit Anbeginn meiner Zucht jährlich von jeder Zuchthenne mindestens einen Nachkommen (männlich oder weiblich) in die Weiterzucht einsetze, auch dann, wenn das jeweilige Tier nur bedingt der Musterbeschreibung entsprechen sollte. Auf diese Weise erhalte ich Abstammungslinien, die sich auf alle Tiere meines Ausgangsbestandes zurückführen lassen und deren jeweilige Erhaltung gewährleistet ist. Die Erfahrung über mehrere Jahre hat gezeigt, dass ich auf diese Weise Nachzuchten erhalte, die in ihrer Merkmalsausprägung das Niveau aller zu Beginn eingesetzten Ausgangstiere übertreffen. Parallel angesetzte Inzuchtlinien hingegen brachten lediglich die Stabilisierung auf einem überdurchschnittlichen Niveau.
Die Anwendung eines solchen Zuchtprinzips ist nicht nur langfristig erfolgversprechender, sondern auch für den größten Teil der Züchter weitaus einfacher umzusetzen, als der gleichzeitige Aufbau mehrerer Inzuchtlinien. Um auf diese Weise möglichst lange züchten zu können, empfiehlt es sich, auf die Verpaarung nah verwandter Tiere (Rück- und Vollgeschwisterpaarungen) ganz zu verzichten und verstärkt Ausgleichsverpaarungen vorzunehmen. Auch ist der Einsatz mehrerer kleiner Zuchtstämme sinnvoller als der eines großen Stammes. So beträgt der Inzuchtzuwachs bei einem Stamm von 1,5 je Generation 30 %. Bei zwei Stämmen je 1,2 sinkt er auf 18,75 % und bei dreimal 1,1 liegt er nur noch bei 16,67 %.
Trotz alledem wird man nicht umhin kommen, im Abstand mehrerer Jahre fremde Tiere in die Zucht einzustellen. Ob man dabei besser auf Hähne oder Hennen zurückgreift, hängt von den Möglichkeiten des Züchters ab. Oft wird vom Einsatz neuer Hähne abgeraten, da man nicht weiß, was ihre Nachzucht bringt. Züchtet man mit mehreren Stämmen, kann der Einsatz eines neuen Hahnes problemlos empfohlen werden, da man neben dem neuen Hahn auch noch mindestens einen eigenen zur Zucht verwendet. So ist man für den Fall abgesichert, dass der neue Hahn nicht den erhofften Erfolg bei der Nachzucht erbringt. Züchtet man mit nur einem Stamm, empfiehlt es sich, eine neue Henne einzustellen. Entspricht die Nachzucht dieser Henne den Erwartungen, kann einer ihrer Söhne für die Weiterzucht verwendet werden.
Autor: Armin Six
Quelle: Geflügelzeitung, 15/2005