Immer dieselben Zuchtfehler - das muss nicht sein!
Wenn man sich die langen Käuferschlangen vor den Verkaufsbüros während der bis dahin weltgrößten Rassegeflügelausstellung im Jahr 2000 in Nürnberg vor Augen hält, müsste man eigentlich davon ausgehen, dass in diesem Jahr 2001 die deutsche Geflügel- und Taubenzucht einen nie dagewesenen Höchststand erreichen müsste. Was da alles an Preistieren ver- und gekauft wurde, müsste logischerweise unserer Zuchtarbeit einen gewaltigen Schub nach vorne bringen. Ich bin zwar kein Prophet, wage aber dennoch die Prognose, dass dies nicht eintreffen wird. Wozu dann dieser Masseneinkauf?
Jeder möchte doch seine Zucht verbessern! Woran liegt es dann, dass die Masse der Züchterinnen und Züchter trotz erheblichen finanziellen Aufwandes auf der Stelle tritt und die großen Erfolge immer nur dieselben einheimsen?
Es ist also sicherlich eine Überlegung wert, wie wir in der Zucht unseres Geflügels und der Tauben auch auf breiter Front weiterkommen. Mit Spitzenbewertungen ausgestattete Tiere, wer träumt nicht davon, solche Tiere verpaaren zu können? Die Resultate solcher Verbindungen sehen in aller Regel eher ernüchternd aus. Nicht selten mangelt es gerade diesen Individuen an der für die Zucht so wichtigen Kondition und Vitalität. Vielleicht wurden sie durch die vielen Ausstellungen überfordert, oder sie passen in ihren Genen, also ihren Erbanlagen, einfach nicht zusammen und noch viel weniger in den Genpool der eigenen Zucht. Ein Spitzentier einzukaufen, von dem man meist nicht mehr weiß, als was es kostet und welche Bewertung es erzielt hat, heißt noch längst nicht, dass man seine Zucht verbessert hat. Das Gegenteil ist oft der Fall!
Es müsste eigentlich zu denken geben, wenn man sieht, dass so genannte Spitzenzüchter äußerst selten bei Ausstellungen Tiere einkaufen und sie trotzdem manchmal über viele Jahre hinweg ihre Zucht auf höchstem Niveau halten können. Ihr Zauberwort heißt Linienzucht, von dem jeder redet, aber nur die besten Züchter scheinen dies zu praktizieren. Es ist und bleibt der Königsweg der Veredelungszucht - im übrigen nicht nur bei uns Kleintierzüchtern - in Linien mit wenigen guten Ausgangstieren zu züchten und nicht ständig durch Zukäufe das vorhandene genetische Potenzial zu verwässern.
Viel zu vielen Züchtern fehlt nach wie vor die dazu notwendige Geduld. Stattdessen setzt man auf die meist trügerische Hoffnung, durch den Kauf eines hoch bewerteten Tieres bei einer großen Schau den entscheidenden Schritt getan zu haben. Solche Praktiken ähneln eher einem Lotteriespiel als seriöser Zuchtarbeit. Klappt es dann nicht im nächsten Jahr, sind - Sie wissen schon - mal wieder die Tiere schuld oder auch das Wetter. Die eigenen Zuchtmethoden werden viel zu wenig hinterfragt.
Zudem wissen wir heute, dass neben der genetischen Ausstattung der Tiere, die Umstände ihrer Haltung sowie ihrer Fütterung für die sogenannte Modifikation, das heißt die individuelle Ausprägung genetischer Anlagen, verantwortlich sind. Wenn man bedenkt, dass es bei großen Ausstellungen oft Kleinigkeiten sind, die ein Spitzentier herausheben, so muss dieser Aspekt für uns Züchter viel mehr Beachtung finden.
Wozu es führen kann, wenn genetisch hochwertige Tiere falsch gehalten bzw. gefüttert werden, zeigt uns im Rinderbereich die BSE-Katastrophe überdeutlich. Auch die moderne Landwirtschaft muss jetzt erkennen, dass Fehler in der artgerechten Haltung und Fütterung sich nun bitter rächen. Für uns Kleintierzüchter muss die Konsequenz aus diesem Skandal heißen, lieber mit weniger Paaren bzw. Stämmen in die Zucht zu gehen und diesen dafür bessere Lebensbedingungen zu bieten, als im abgelaufenen Jahr. Was die Fütterung anbetrifft, muss das nicht heißen, dass das teuerste Futter der Futtermittelindustrie auch das beste sein muss.
Manchmal ist es fast tragisch, wenn man erlebt, dass man sehr gute Zuchttiere abgegeben hat und sie nach wenigen Monaten nicht wiedererkennt. Meist sind die unzulänglichen Stall- oder Schlagverhältnisse, mitunter auch die Bedingungen im Auslauf oder der Voliere daran Schuld. Auch hier sollte gerade jetzt vor Beginn der Zucht die Zeit genutzt werden, bauliche Veränderungen vorzunehmen, die im Endeffekt darauf hinauslaufen müssen, dem einzelnen Tier mehr Platz, Luft und Licht für ein artgerechtes Verhalten zu schaffen. Nur so sind Bedingungen gegeben, die einer gesunden Entwicklung gepaart mit den spezifischen Rasseattributen den Weg frei machen.
Zum Schluss noch eine Tatsache, die man leider vielerorts noch nicht wahrhaben will. Wenn jetzt wieder damit begonnen wird, getreu dem Motto "Mehr hilft mehr", durch Antibiotika, Wurm-, Darm- und Entschlackungskuren die "Mannschaft" fit für das Zuchtjahr zu machen, steckt dahinter sicher die löbliche Absicht, seine besten Tiere und gerade auch die teuer erworbenen "Stars", gesund zu erhalten. Dennoch darf nicht verschwiegen werden, dass solche Machenschaften, ähnlich wie in der Humanmedizin, dazu führen können, dass resistente Bakterien- und Virenstämme entstehen, zu deren Bekämpfung immer stärkere "Waffen" eingesetzt werden müssen. Wo soll das hinführen?
Wenn es Züchter gibt, die dreimal am Tag ihren Taubenschlag reinigen, deren Frauen jedoch das Badezimmer einmal am Tag und die restliche Wohnung einmal pro Woche gründlich reinigen, scheinen mir die Proportionen nicht mehr zu stimmen. Wäre es nicht sinnvoller - und das hat jetzt nichts mit Vernachlässigung der Schlag- oder Stallpflege zu tun - unseren Tieren die Chance des Aufbaus eines eigenen wirksamen Immunsystems zu bieten und nicht mit Kanonen auf Spatzen zu schießen? Auch hier sollte die BSE-Krise eine Warnung für uns sein, nicht alles, was von der Tier-Pharmazie als ungefährlich eingestuft wird, bedenkenlos einzusetzen. Es gibt heute eine Reihe von Naturheilmitteln, die übrigens schon in früheren Zeiten für Geflügel und Tauben eingesetzt wurden, die bei den meisten Erkrankungen heilend wirken und zugleich das körpereigene Immunsystem aktivieren und unterstützen. Naturheilkunde erlebt derzeit eine Renaissance, und das ist gut so, auch für unsere Tiere.
Wenn wir auch nur einen der vorgenannten Punkte angehen und umsetzen, haben wir unsere Zucht ein gutes Stück verbessert, oder wie es die Chinesen schon seit Jahrhunderten ausdrücken: "Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt!"
Autor: Karl-Otto Gauggel
Quelle: Kleintierzüchter, 2/2001